Wie ich spielleite

Was ist uns wichtig

Jede Spielgruppe die solange wie wir spielt wird sich ein eigenes Regelwerk erarbeiten. Die allermeisten werden mit einem der existierenden Regelwerke wie AD&D oder DSA anfangen und dies dann im Laufe der Zeit mehr oder weniger weit an die eigene Bedürfnisse anpassen. So ist es bei uns auch passiert.

Wir haben alle die Einstellung, dass das Regelwerk im Spiel möglichst selten sichtbar sein darf. Um so weniger Regelwerk im Spiel ist, um so mehr kann man sich auf Handlung und Charaktere konzentrieren. Wir wollen während dies Spiels möglichst wenige Tabellen wälzen. Was wir definitiv nicht wollen, sind lange Diskussionen darüber, wie man welche Regel auslegen muss, um 1,34 bis 1,87% mehr Schaden mit seinem kleinen Dolch zu machen.

Wir haben unser Regelwerk daher auf das Minimum reduziert. Ein guter Teil unserer Regeln hängt derzeit noch irgendwo im Limbo – die bestehenden modifizierten Midgard-Regeln gefallen uns nicht (mehr), wir haben aber auch noch nicht die Energie gehabt, unser eigenen auszuformulieren.

Unsere Regeln ergeben sich so zum Teil aus definierten Regeln, zum Teil aus der Art, wie ich leite. Und so lange sich die Spieler nicht beschweren, mache ich das so weiter.

Sinn und Unsinn von Würfelentscheidungen

In allen Rollenspielsystemen gibt es drei Grundregeln für den Spielleiter:

1.) Der Spieleiter hat immer recht.
2.) Der Spielleiter muss unparteiisch sein.
3.) Der Spielleiter trägt die Hauptverantwortung dafür, dass es allen Spaß macht.

Punkt 3 habe ich noch nirgendwo ausgeschrieben gesehen. Dennoch halte ich ihn für den wichtigsten, wenn es darum geht eine Spielgruppe langfristig zusammen zu halten. Um diese Regel zu erfüllen, muss der Spielleiter drei Dinge tun.

1.) Er muss Handlungen spielen, die die Spielern interessant finden.
2.) Er muss das auf eine Art und Weise tun, die den Spielern Spaß macht.
3.) Er muss die Spieler mit ihren Eigenschaften, Möglichkeiten und Wünschen respektieren und darf nicht werten!

Und auch hier ist es wieder Punkt 3, den ich für den langfristigen Erfolg einer Spielrunde für am wichtigsten halte. Diese Rahmenbedingungen insgesamt prägen, wie ich unser Spiel leite und wie sich unsere Spielregeln entwickelt haben.

Die meisten Regelwerke bestehen aus den typischen Bereichen Charaktererschaffung und -training, Kampfsystem, Magiesystem und Allgemeine Fähigkeiten. Dazu gehört auch eine Würfelmechanik, die beschreibt, mit welchen Würfeln man was zu würfeln hat.

Bei Magie und Kampfsystem braucht man das auch auf recht detaillierter Ebene, da man hier keine realen Vorbilder hat. Für alles andere kommt man mit sehr wenig aus – insbesondere braucht man keine nennenswerten Tabellen für alles was nicht Kampf oder Magie ist.

Warum nicht? Ich will das an einem Beispiel illustrieren: Die Spieler müssen nachts über einen Acker rennen um jemanden zu verfolgen. Dazu brauchen sie die Midgard-Fertigkeit „Geländelauf“.

Als Spielleiter überlege ich mir:

1.) Stellenwert der Aktion: Welchen Stellenwert hat diese Aktion? Ist das die zentrale Verfolgungsjagd des Abenteuers oder irgendeine – vielleicht sogar nervige – Nebenepisode.
2.) Einfluss auf die Handlung: Wie wichtig es ist, dass sie den Verfolgten einfangen? Wie schlimm ist es, wenn sie ihn nicht kriegen? Dürfen sie ihn überhaupt kriegen?
3.) Stimmung der Spieler: Was brauchen die Spieler? Mal wieder ein Erfolgserlebnis? Darf es ein bisschen schwieriger sein? Wie spannend soll es sein? Soll es vielleicht lustig sein?

Abhängig vom Ausgang dieser Fragen, werde ich entscheiden, ob der Acker glatt oder frisch gepflügt ist, ob es Maulwurfshügel gibt oder ob es gerade anfängt zu regnen. Auch wird entschieden, wie viel Vorsprung der Verfolgte hat, ob der zufällig einen Weg erwischt hat oder ob er über einen Maulwurfshügel gestolpert ist.

Daraus überlege ich mir, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Geländelauf-Würfe der Spieler klappen sollen. Und ich überlege mir, was die Konsequenzen nicht geschaffter Würfelwürfe sein können. Soll es spannend sein, so wird die Wahrscheinlichkeit eher im mittleren Bereich sein, soll es leicht sein, eher im hohen Bereich, soll es schwierig sein, eher niedrig. Soll es „lustig“ sein, so wird es zur Schlammschlacht, sobald einer fällt.

Bis zu diesem Zeitpunkt, ist bereits viel über die Stimmung der Szene festgelegt – ohne das auch nur eine Charaktereigenschaft berücksichtigt worden wäre!

Diese gehen dann natürlich bei den konkreten Würfen auf die Fertigkeit Geländelauf ein. Nachdem aber bereits so viele Wahrscheinlichkeiten durch die Rahmenbedingungen gesetzt sind, ist es meiner Meinung nach unerheblich, auf den Prozentpunkt genau zu wissen, wie gut ein Charakter die Fertigkeit beherrscht, weil er sie gelernt hat. Es reicht mir eine grobe Einschätzung „gar nicht“, „Anfänger“, „gut“, „Profi“ – und die ergibt sich aus der Charaktergeschichte. Die muss man nicht in Tabellen mit Werten erfassen, sowas weiß man, wenn man den Charakter kennt.

Es kommt ja auch noch hinzu, dass man den Charakter, der etwas gelernt hat, auch bei den Konsequenzen der Würfe anders behandeln kann und wird. Er rappelt sich beispielsweise nach einem Sturz schneller wieder auf. Auch solche Dinge sind in Regeltabellen normalerweise nicht beschrieben.

Schaut man sich das genauer an, so sieht man, dass fast alles, was aus dem Würfelwurf herauskommen kann, durch den Spielleiter beeinflußbar ist. Die versprochene Objektivität, die ein Tabellenwerk mit vielen Ereignissen und Modifikatoren versprechen soll, gibt es nicht. Ich als Spielleiter entscheide, ob etwas spannend, einfach, schnell, schwierig oder gar unmöglich ist und organisiere die Randbedingungen (also die Wahrscheinlichkeiten) entsprechend. Wenn die Spieler plötzlich dann doch zu leicht nachts über den Acker rennen (vielleicht auch nur, weil sie gut gewürfelt haben) dann kommen eben plötzlich noch ein paar Maulwurfshügel.

Ein Regelwerk, dass für alle Situationen immer alle Faktoren in Tabellen berücksichtigt, gibt es nicht und wenn, dann wäre vermutlich nur ein HAL9000-Computer dafür geeignet, dies zu verwalten. Mit allen Konsequenzen!

Vor diesem Hintergrund muss ich mir wirklich nicht die Arbeit machen, die Basiswerte über ein Tabellenwerk zu modellieren. Es reicht mir zu wissen, dass ein Charakter das trainiert hat und wie intensiv er das etwa gemacht hat. Dann rate ich auch den Basiswert. Der Charakter hat 3 Monate lang Geländelauf trainiert? Dann hat er nachts und auf diesem Gelände eben 20% mehr als der, der das nicht gemacht hat. In einer anderen Nacht auf einem anderen Acker sind es nur 10%, weil der Acker ganz eben ist. So einfach ist das.

Und in den meisten Fällen, mit ein bisschen gesundem Menschenverstand, wird so auch eine Wahrscheinlichkeit herauskommen, die ebenso „realistisch“ (=von den Spielern akzeptabel), eventuell sogar besser ist, wie die, die über ein Regelwerk kommt. Ich brauche keine Tabellen für allgemeine Fähigkeiten, ich muss nur den Hintergrund des Charakters etwas kennen.

Was das für unser Regelwerk bedeutet, erkläre ich auf der entsprechenden Seite.

Warum würfelt man dann überhaupt?

Das würfeln ist aus zwei Gründen wichtig:
a) Wegen dem kleinen aber feinen Unterschied zwischen „geklappt“ und „nicht geklappt“. Unabhängig davon, wie die Wahrscheinlichkeit entstanden ist, ist dies der Punkt der Wahrheit. Gerade bei doppelt offenen Würfen (Spieler würfelt selbst und kennt die Erfolgswahrscheinlichkeit) ist dies ein wesentlicher Spannungsmoment, der Weichen im Spiel stellt.
b) Kritische Erfolge und Mißerfolge bieten immer wieder Potential für lustige Situationen.
c) Es macht Spaß!

Wahrscheinlichkeitsverteilungen

Was beim Würfeln viel wichtiger ist als eine möglichst realistische Eintrittswahrscheinlichkeit ist, mit wievielen Würfen gewürfelt wird. Die Wahrscheinlicheleitsverteilungen sind sehr unterschiedlich: Je mehr Würfel gleicher Art man nimmt, so seltener werden extreme Würfelsummen gewürfelt. Ich nutze daher nur einen oder zwei Würfel. Bei drei Würfeln werden mir die Extremwerte schon zu selten. Bei Spielrunden, die sehr viel würfeln oder die die extreme einfach nicht so oft haben wollen (GURPS), können auch drei Würfel geeignet sein.

Erfahrungspunkte

Kennt Ihr das? Otto – 150 Punkte. Erna – 120 Punkte, Hugo – 200 Punkte! Hier werden Erfahrungspunkte am Ende eines Abenteuers vergeben. Das machen zwar nicht alle Rollenspielsysteme so, aber eben viele. Bei mir erhalten alle Charaktere immer gleich viel Punkte.

Was Kampf und Magie angeht, so erwarte ich von jedem Regelsystem, dass es den jeweiligen Nutzern gleiche Chancen bietet, Punkte zu erhalten. Das schließt den Heiler ein, der die Kämpfer während des Kampfes wieder zusammen flickt. Darüber können also keine Unterschiede in den Punkten kommen. Ich mag auch kein Würfelglück mit Punkten belohnen.

Unterschiede können also nur aus dem Spiel der Spieler kommen. Aber ich bin nicht (mehr) bereit, das Spiel meiner Spieler zu bewerten! Wie soll das auch gehen? Wer ist besser? Der, der immer aktiv ist, die Gruppe in Bewegung hält, aber eben auch öfter mal ins Klo greift? Oder der stillere, der aber, wenn er dann spricht, immer gute Aktionen macht?

Ich bin als Spielleiter dafür verantwortlich, dass es allen Spaß macht. Und egal wie „objektiv“ die Punkte vergeben werden: Erhält man weniger als jemand anderes fühlt man sich herabgesetzt! Das ist so und das wird einem jeder Psychologe bestätigen. Das akzeptiert man im Wettkampf, aber wir spielen hier zum Vergnügen. Hinzu kommt, dass ich andere erwachsene Menschen – Freunde – nicht bewerten möchte. Es steht mir nicht zu, die Introvertiertheit des einen anders zu bewerten, als die Extrovertiertheit des anderen. Die Spielergruppe hat als ganzes Erfolg oder eben nicht. Deswegen gibt es immer für alle die gleiche Punktzahl.

Und meine Erfahrung zeigt auch, dass das eine Spielergruppe viel harmonischer macht. Es gibt weniger Wettstreit zwischen den Spielern und es wird niemand herabgesetzt. Probiert es mal aus!

Im zweiten Teil werde ich unsere Regeln und wie ich bestimmte Situationen handhabe beschreiben.

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